Bundesverband fordert: Armut bekämpfen - Wohlstand besser verteilen

20.06.2012 | Pressemitteilung | Politik

Im Vorfeld des Bundestafeltreffens, das vom 21.-23. Juni in Suhl stattfindet, zog der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. auf seiner Jahrespressekonferenz heute Bilanz über das vergangene Jahr. Aus Sicht des Sozialverbandes täuschen die konjunkturellen Erfolgsmeldungen über das wahre Ausmaß der Armut in Deutschland hinweg. Die Zahl der hilfebedürftigen Arbeitnehmer und Rentner nimmt zu. Das macht sich auch bei den Tafeln bemerkbar. 1,5 Millionen Menschen nutzen die Unterstützung der Tafeln. Der Verband ruft die Politik zu einer gerechten Sozial- und Steuerpolitik auf.

Wirtschaftswachstum, niedrige Arbeitslosenzahlen und der höchste Beschäftigungsstand seit 20 Jahren – so lauten die Erfolgsmeldungen der Bundesregierung. „Ein Trugbild“ findet Gerd Häuser, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V. Schließlich sind laut Statistischem Bundesamt etwa 13 Millionen Menschen arm oder von Armut bedroht. „Arbeit zu haben oder lange gearbeitet zu haben, bedeutet schon lange nicht mehr, vor Armut geschützt zu sein. Es gibt Millionen Menschen, die nicht vom Aufschwung profitieren und auf staatliche Sicherungsleistungen angewiesen sind: Langzeitarbeitslose, Teilzeitkräfte, Niedriglöhner, Alleinerziehende mit ihren Kindern und Rentner“, beurteilt Gerd Häuser, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V. die aktuelle Lage. Armut sei nach wie vor eine gesellschaftliche Tatsache.

Sorgen bereitet dem Bundesverband der hohe Anteil prekärer Arbeitsverhältnisse. „Angesichts von Millionen Geringverdienern wird die Zahl der Altersarmen in Zukunft sicher weiter steigen. Das wird sich auch bei den Tafeln noch viel stärker bemerkbar machen“, befürchtet Gerd Häuser.

Der Bundesverband betrachtet die Sozialpolitik der letzten Jahre als weitgehend gescheitert. „Die Politik strebt aus unserer Sicht für viele soziale Probleme noch keine grundsätzlichen Lösungen an. Ob Kinderarmut, Altersarmut, prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder die Arbeitsmarktchancen Alleinerziehender. Eine sinnvolle Strategie zur Bekämpfung der Armut in Deutschland scheint es nicht zu geben“, konstatiert Gerd Häuser. Grundsätzliche politische Veränderungen seien unumgänglich, wenn man Armut erfolgreich bekämpfen wolle.

Die Bundesregierung müsse mehr tun, um allen Menschen eine wirkliche Chance auf Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben zu eröffnen. Steuer- und Sozialpolitik böten dazu Gestaltungsspielraum „Es wird kein Wohlhabender arm, wenn der Spitzensteuersatz erhöht oder eine Vermögenssteuer erhoben wird. Es geht keine Bank pleite, wenn eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird. Diese Einnahmen könnten sinnvoll verwendet werden, um den Sozialstaat und unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln“, schlägt Gerd Häuser vor.


Größere Anstrengungen gegen Kinderarmut gefordert
Angesichts der anhaltend hohen Kinderarmutsquote forderte der Verband, dass die Hartz IV-Leistungen für Kinder neu berechnet werden und sich endlich an den realen Bedürfnissen Heranwachsender und ihrer Familien orientieren. Dazu zählt auch, dass besondere Bedarfe gesondert berücksichtigt werden. „Es kann nicht sein, dass eine Familie wegen einer kaputten Waschmaschine am Essen sparen muss. Eine Bildungspolitik vom Kindergartenalter an und kostenlose Mittagsmahlzeiten für alle Kinder in Kitas und Schulen sind das Mindeste. Wir müssen es schaffen, allen Kindern gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen – egal, wie einkommensstark ihre Eltern sind. Ob Kita-Platz, Musikunterricht, die Mitgliedschaft im Sportverein oder Nachhilfeunterricht. Bildung und Kultur müssen allen Kindern gleichermaßen zugänglich sein“, forderte Gerd Häuser.


Bundesverband setzt sich für Armutsbeauftragten ein
Armutsbekämpfung müsse insgesamt viel mehr politisches Gewicht bekommen. Der Verband hält daher an seiner Forderung fest, einen „Beauftragten für die Bekämpfung der Armut“ zu berufen. „Es gilt Hilfen zu ermöglichen, die den Menschen nützen und bei ihnen ankommen. Das muss jemand ressortübergreifend und unabhängig beurteilen können und zudem regelmäßig dem Deutschen Bundestag berichten“, sagte Gerd Häuser.


Tafeln sind kein Ersatz für den Sozialstaat
Was die Tafeln verteilten, müsse dagegen eine zusätzliche Hilfe bleiben, die Menschen mit geringem Einkommen einen kleinen finanziellen Spielraum eröffnet. „Die Tafeln können und wollen den Sozialstaat nicht ersetzen. Die solidarische Hilfe der Zivilgesellschaft  darf von der Politik nicht zum Lückenbüßer für eine unzureichende soziale Grundsicherung gemacht werden. Der Staat ist und bleibt dafür verantwortlich, Hilfebedürftigen jeden Alters ein menschenwürdiges Auskommen zu ermöglichen“, erklärte der Vorsitzende.


Zahl der Tafeln und Tafel-Nutzer erneut leicht gestiegen – mehr Kinder und Senioren
In den vergangenen zwölf Monaten ist die Zahl der Tafeln leicht gewachsen. Seit Juni 2011 entstanden 12 neue Tafeln. Die Gesamtzahl liegt aktuell bei 891 Tafeln. Die Mehrheit der Tafeln befindet sich in Trägerschaft gemeinnütziger Verbände oder Institutionen (Diakonie, Caritas; AWO, DRK u.a.) und ist daher gut mit anderen sozialen Hilfsangeboten vernetzt. Die Tafeln und der Bundesverband finanzieren sich ganz überwiegend durch private Spenden.

Die Zahl der Menschen, die in den zurückliegenden zwölf Monaten regelmäßig die Hilfe der Tafeln in Anspruch genommen haben, ist nach Schätzungen des Bundesverbandes von 1,3 auf etwa 1,5 Millionen leicht gestiegen.
Der Anteil der Familien mit Kindern und der der Senioren unter den Tafel-Nutzern nimmt weiter zu. Darauf stellen sich die Tafeln ein: mit Bringediensten für ältere und gehbehinderte Personen oder mit Freizeit- und Bildungsangeboten für Kinder. Gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, das machen sich immer mehr Tafeln neben der Lebensmittelverteilung zur Aufgabe. Mit Schülerfrühstücks- oder Nachhilfeprojekten, Ernährungsprojekten oder Freizeitangeboten. Der Bundesverband unterstützt diese Bemühungen mit Fördergeldern.


Bundesfreiwillige unterstützen den Generationenwechsel bei den Tafeln

Die Arbeit der Tafeln wird ganz überwiegend von Ehrenamtlichen getragen. Seit Oktober 2011 fungiert der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. als Zentralstelle für den Bundesfreiwilligendienst (BFD). Die Tafeln können damit über den Bundesverband Freiwillige jeden Alters (ab 16 Jahre) beschäftigen – mindestens 6, höchstens 18 Monate lang. Die Bundesfreiwilligen erhalten dafür ein Taschengeld, sie sind sozialversichert und bekommen Weiterbildung. Mehr als 500 Bundesfreiwillige sind derzeit bei den Tafeln im Einsatz. Die Nachfrage ist jedoch weit größer. Der Bundesverband hofft, dass vor allem die jüngeren Bundesfreiwilligen den Tafeln auch nach ihrem Dienst verbunden bleiben.

Tafeln rufen zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Lebensmitteln auf

Der Bundesverband begrüßt es, dass das Thema Lebensmittelverschwendung mittlerweile die Politik und eine breite Öffentlichkeit beschäftigt. „Überschüsse werden sich in einer Marktwirtschaft wahrscheinlich nie ganz vermeiden lassen“, so Gerd Häuser. „Doch das Ausmaß der Verluste steht für eine unglaubliche Verschwendung natürlicher und ökonomischer Ressourcen. Wir brauchen einen verantwortungsvolleren Umgang mit Lebensmitteln. Ob Hersteller, Händler oder Verbraucher – jeder muss selbstkritisch prüfen, wo er Verschwendung vermeiden kann“, lautete der Appell des Vorsitzenden. EU- Vermarktungsnomen gehörten ebenso auf den Prüfstand, wie Produktionsmethoden, Handelsroutinen, Werbestrategien und Verpackungsgrößen.

Der Bundesverband plädiert dafür, Wissen über Ernährung, Ressourcenschutz und Nachhaltigkeit ganz selbstverständlich in Kitas und Schulen zu vermitteln. Die Kinder müssten wissen, woher unsere Nahrungsmittel kommen und wie man sich gesund ernährt.


Spendenbemühungen des Bundesverbandes 2011 erfolgreich
Die Bemühungen des Bundesverbandes, Unternehmen und private Spender für die Arbeit der lokalen Tafeln zu gewinnen, waren im Jahr 2011 erfolgreich. „Den Bundesverband haben Sach- und Geldspenden in Höhe von 6,5 Millionen Euro erreicht. Mit diesen Spenden unterstützen wir die Tafeln vor Ort bei ihrer Arbeit“, sagte Jochen Brühl, stellvertretender Vorsitzender und Spendenbeauftragter des Verbandes. Dem Bundesverband wurde im April 2012 zum wiederholten Mal das DZI-Spendensiegel für seinen sachgerechten, sparsamen und transparenten Umgang mit Spenden verliehen.


Bundestafeltreffen 2012 in Suhl

Zum 18. Bundestreffen der Tafeln werden in Suhl vom 21. bis 23. Juni 2012 bis zu 800 Tafel-Aktive sowie Freunde und Förderer der Tafeln aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Die Teilnehmer und ihre Gäste erwartet ein dreitägiges Programm aus Fach- und Kulturveranstaltungen. Ein Dreh- und Angelpunkt des Austausches wird unter anderem die Frage sein, welchen Beitrag bürgerschaftliches und unternehmerisches Engagement bei den Tafeln und für die Tafeln realistischerweise in der Praxis leisten kann, um Armut zu lindern. Auch Themen wie Lebensmittelverschwendung, Nachhaltigkeit/Ressourcenschutz und der demografische Wandel werden eine Rolle spielen.

Einer der Höhepunkte des Treffens ist die „Lange Tafel“ am Samstag, 23. Juni 2012, auf dem Platz der Deutschen Einheit (Beginn: 11 Uhr). Neben zahlreichen Gästen, unter ihnen der stellvertretende Ministerpräsident Thüringens Christoph Matschie und Thüringens Sozialministerin Heike Taubert, werden etwa tausend Besucher erwartet. „Wir laden alle Bürgerinnen und Bürger Suhls herzlich ein, sich mit Tafel-Nutzern, Tafel-Helfern sowie unseren Gästen an einen Tisch zu setzen, gemeinsam kostenlos Mittag zu essen und damit ein Zeichen der Solidarität zu setzen“, sagte Gerd Häuser.