Tafel-Bundesverband: Umverteilung jetzt wagen!

05.06.2013

Im Vorfeld des Bundestafeltreffens, das vom 6.- 8. Juni in Neubrandenburg stattfindet, zog der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. auf seiner Jahrespressekonferenz heute Bilanz über das vergangene Jahr. Der Verband kritisiert die zunehmende soziale Spaltung und ruft die Politik zu einer zukunftsfähigen Sozial- und Steuerpolitik auf.


Als zutiefst beschämend bewertet der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. die aktuelle soziale Lage. „Dass Deutschland sozial so tief gespalten ist wie nie zuvor, verletzt das Gerechtigkeitsempfinden einer breiten Mehrheit. Es ist paradox, dass trotz guter Wirtschaftsdaten und rückläufiger Arbeitslosenzahlen die Armutsquote mit 15,2 Prozent den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht hat“, kommentiert der Vorsitzende des Verbandes, Gerd Häuser, den jüngsten Armutsbericht der Bundesregierung.
Angesichts von über einer Million Aufstockern sei es zynisch, wenn der Bericht die Zunahme atypischer und prekärer Beschäftigungsformen wie Leiharbeit und Zeitarbeit mit Niedriglöhnen als Erfolg darstellt. „Altersarmut ist so vorprogrammiert“, befürchtet Gerd Häuser. Die zunehmend ungleiche Verteilung von Wohlstand und damit von Chancen sei nicht hinnehmbar.

Die Rekord-Armut sei in erste Linie die Folge einer über Jahre hinweg verfehlten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, nicht zuletzt durch weite Teile der Agenda 2010. Diese Fehlentwicklungen müssten dringend korrigiert werden. „Grundsätzliche politische Veränderungen sind unumgänglich, wenn man Armut erfolgreich bekämpfen will“, mahnt Gerd Häuser.

Der Verband fordert die Politik auf, schnellstmöglich eine nationale Strategie zur Bekämpfung und Vermeidung von Armut unter Beteiligung unabhängiger Experten und der Sozialverbände zu entwickeln sowie umgehend Reformen in der Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik zu beschließen. Insbesondere gelte es, armutsfeste Mindestlöhne und Mindestrenten einzuführen, die Regelsätze bedarfsgerecht zu erhöhen sowie öffentliche Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose zu schaffen. Unabdingbar sei es außerdem, genügend kostenlose qualifizierte Kinderbetreuungsmöglichkeiten bereit zu stellen sowie Programme zu beschließen, die die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen an Bildung und Kultur ermöglichen. Letztlich gehe es darum, allen Menschen, die der Hilfe bedürfen, den Zugang zu menschenwürdigen Sozialleistungen zu ermöglichen. Das heißt auch Menschen, die als Flüchtlinge oder illegal in unserem Land leben.


Solidarität leben - Wohlstand sozial gerecht umverteilen
„Um das zu erreichen, brauchen wir ein nachhaltiges Konzept für eine Umverteilung von Vermögen in unserer Gesellschaft“, so Gerd Häuser. Dazu gehöre eine andere Steuerpolitik. Einnahmen aus einem höheren Spitzensteuersatz, einer Vermögenssteuer für außerordentlich Wohlhabende sowie der Finanztransaktionssteuer könnten sinnvoll verwendet werden, um den Sozialstaat und unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln.

„Die Chancen für einen Richtungswechsel in der Steuer- und Ausgabenpolitik stehen so gut wie nie“, meint Gerd Häuser. Nach einer Umfrage des Paritätischen Gesamtverbandes spricht sich mehr als die Hälfte der Deutschen für mehr Investitionen in den Sozialbereich und mehr als drei Viertel für mehr Bildungsausgaben aus. „Das sollten wir nutzen!“

"Wir brauchen ein solidarisches Deutschland, in dem der Wohlstand und die Entwicklungschancen der Generationen gerecht verteilt werden. Investitionen in frühkindliche Bildung, die Integration von Migranten, Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit sowie die berufliche Aus- und Weiterbildung für Arbeitssuchende zahlen sich langfristig aus. Wer diese Ausgaben scheut und nur in Legislaturperioden anstatt in Generationen denkt, der wird die Folgen zu spüren bekommen: in Form von noch teureren Sozialtransfers, höherer Altersarmut und Demokratiemüdigkeit“, so die Einschätzung des Vorsitzenden.


Tafeln ersetzen keine sozialstaatlichen Leistungen
Was die Tafeln verteilten, könne nur eine zusätzliche Hilfe sein, die Menschen mit geringem Einkommen einen kleinen finanziellen Spielraum eröffnet. „Die Tafeln können und wollen den Sozialstaat nicht ersetzen. Die solidarische Hilfe der Zivilgesellschaft darf von der Politik nicht zum Lückenbüßer für eine unzureichende soziale Grundsicherung gemacht werden. Der Staat ist und bleibt für die Daseinsvorsorge verantwortlich, also dafür, Hilfebedürftigen jeden Alters ein menschenwürdiges Auskommen zu ermöglichen“, insistiert der Vorsitzende.


Tafeln rufen zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Lebensmitteln auf
Der Bundesverband begrüßt es, dass das Thema Lebensmittelverschwendung die Politik und eine breite Öffentlichkeit beschäftigt. Er hat sich gemeinsam mit Slow Food als erste Non-Profit-Organisation bereits 2012 der Kampagne „Zu gut für die Tonne“ des Verbraucherschutzministeriums angeschlossen.
Nach einer Umfrage des BMELV hat ein Viertel der Deutschen seine Konsumgewohnheiten bereits geändert. „Das ist ein guter Anfang“, findet Gerd Häuser. „Aber dabei sollte es nicht bleiben. Wir wünschen uns, dass die Aufklärungskampagne mit Hilfe der Tafeln weitergeführt wird. Wir stehen bereit“, so Häuser. Der Verband plädiert für einen verantwortungsvolleren Umgang mit Lebensmitteln. Ob Hersteller, Händler oder Verbraucher – jeder müsse selbstkritisch prüfen, wo er Verschwendung vermeiden könne, lautet der Appell.


Spekulationen stoppen!
Der Vorsitzende sieht das Problem jedoch auch in seiner globalen Dimension. „Vermeidbare Verluste bei uns erhöhen die Nachfrage nach Rohstoffen wie Getreide, Kakao oder Zucker auf dem Weltmarkt. Arme Länder sind von steigenden Preise besonders stark betroffen. „Das kann uns nicht egal sein!“ Der Verband wendet sich daher entschieden gegen Spekulationen mit Nahrungsmitteln, Wasser, Wohnraum oder Land. „Wer spekuliert oder Spekulation mit lebenswichtigen Ressourcen zulässt, der nimmt die Armut, Landflucht und den Tod zahllosen Menschen billigend in Kauf!“, sagt Gerd Häuser. Hier müsse Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft noch wesentlich stärker als bisher den Kaptitalinteressen von Banken und Investoren entgegentreten – national und international.


Zahl der Tafeln leicht gestiegen
In den vergangenen zwölf Monaten ist die Zahl der Tafeln leicht gewachsen. Auf Initaitve von Bürgervereinen oder gemeinnütziger Träger sind seit Juni 2012 bundesweit 19 neue Tafeln entstanden. Die Gesamtzahl liegt aktuell bei 910 Tafeln. Die meisten Tafeln gibt es in Nordrhein-Westfalen (163), Baden-Württemberg (163) und in Bayern (144). Die Mehrheit der Tafeln befindet sich in Trägerschaft gemeinnütziger Verbände oder Institutionen (Diakonie, Caritas; AWO, DRK u.a.) und ist daher gut mit anderen sozialen Hilfsangeboten vernetzt. Die lokalen Tafeln und der Bundesverband finanzieren sich ganz überwiegend durch Spenden.


Bundesfreiwillige unterstützen den Generationenwechsel bei den Tafeln
Die Arbeit der Tafeln wird ganz überwiegend von Ehrenamtlichen getragen. Seit Oktober 2011 fungiert der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. als Zentralstelle für den Bundesfreiwilligendienst (BFD). Die Tafeln können damit über den Bundesverband Freiwillige jeden Alters beschäftigen. Die Bundesfreiwilligen erhalten dafür ein Taschengeld, sie sind sozialversichert und nehmen an Weiterbildungen teil. Mehr als 800 Bundesfreiwillige waren bereits bei den Tafeln im Einsatz oder sind es noch. Die Nachfrage ist jedoch weit größer. Der Bundesverband hofft, dass die Bundesfreiwilligen den Tafeln auch nach ihrem Dienst verbunden bleiben.


Spendenbemühungen des Bundesverbandes 2012 erfolgreich

Die Bemühungen des Bundesverbandes, Unternehmen und private Spender für die Arbeit der Tafeln zu gewinnen, waren im Jahr 2012 erfolgreich. „Spender und Sponsoren haben dem Bundesverband 2012 rund 2,4 Millionen Euro zugute kommen lassen und damit so viel wie im Jahr zuvor. Mit diesen Spenden unterstützen wir die Tafeln vor Ort bei ihrer Arbeit“, sagte Jochen Brühl, stellvertretender Vorsitzender und Spendenbeauftragter des Verbandes. Dem Bundesverband wurde im April 2013 zum wiederholten Mal das DZI-Spendensiegel für seinen sachgerechten, sparsamen und transparenten Umgang mit Spenden verliehen.


Bundestafeltreffen 2013 in Neubrandenburg

Zum 19. Bundestreffen der Tafeln werden in Neubrandenburg vom 6. bis 8. Juni 2013 etwa 700 Tafel-Aktive sowie Freunde und Förderer der Tafeln aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Die Teilnehmer und ihre Gäste erwartet ein dreitägiges Programm aus Fach- und Kulturveranstaltungen. Ein Dreh- und Angelpunkt des Austausches wird unter anderem die Frage sein, was die Tafel-Bewegung in den 20 Jahren ihres Bestehens erreicht hat und welchen Beitrag bürgerschaftliches und unternehmerisches Engagement bei den Tafeln und für die Tafeln realistischerweise in der Praxis leisten kann, um Armut zu lindern. Auch Themen wie Lebensmittelverschwendung, Nachhaltigkeit/Ressourcenschutz, der Bundesfreiwilligendienst und der demografische Wandel werden eine Rolle spielen.
Auf der Agenda der Mitgliederversammlung am Freitag, 7. Juni, steht unter anderem die Wahl des geschäftsführenden Vorstandes.

Einer der Höhepunkte des Treffens ist die „Lange Tafel“ am Samstag, 8. Juni 2013, ab 13 Uhr auf dem Neubrandenburger Marktplatz. Etwa 80 Meter lang, soll die Lange Tafel öffentlich ein Zeichen setzen für mehr Solidarität und Mitmenschlichkeit. Das gemeinsame Essen in der Öffentlichkeit soll aber auch darauf aufmerksam machen, wie unsere Gesellschaft mit Lebensmitteln umgeht. Neben zahlreichen Gästen aus Politik und Sport, unter ihnen die Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Sylvia Bretschneider, Sozialministerin Manuela Schwesig sowie Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss,

Einer der Höhepunkte des Treffens ist die „Lange Tafel“ am Samstag, 8. Juni 2013,
ab 13 Uhr auf dem Neubrandenburger Marktplatz. Etwa 80 Meter lang, soll die Lange Tafel öffentlich ein Zeichen setzen für mehr Solidarität und Mitmenschlichkeit. Das gemeinsame Essen in der Öffentlichkeit soll aber auch darauf aufmerksam machen, wie unsere Gesellschaft mit Lebensmitteln umgeht. Neben zahlreichen Gästen aus Politik und Sport, unter ihnen die Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Sylvia Bretschneider, Sozialministerin Manuela Schwesig sowie Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss, werden mehr als eintausend Besucher zum kostenlosen tafeln erwartet. 

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